Digitale Ethik 3: Martin Kersting und Rahild Neuburger

Beim dritten Impuls der Reihe "Digitale Ethik" sprachen Prof. Dr. Martin Kersting, Dr. Rahild Neuburger und Luise Kranich.

Am 7. Juni fand die dritte Ausgabe der Impulsreihe „Digitale Ethik“ in Kooperation mit dem Ethikbeirat HR Tech statt. Im Zentrum standen unterschiedliche Perspektiven auf Algorithmen und Arbeit. Ein hochkarätiges Plenum beleuchtete die Perspektiven aus der Wissenschaft, der Wirtschaft sowie der Gesetzgebung.

Die Expert*innen bei dieser Veranstaltung waren:

  • Prof. Dr. Martin Kersting, Justus-Liebig-Universität Gießen: Der Psychologe ist Mitglied im Ethikbeirat HR Tech und legt seinen Schwerpunkt auf der Personalpsychologie
  • Dr. Rahild Neuburger, Ludwig-Maximilians-Universität München & Geschäftsführung MÜNCHENER KREIS.
  • Luise Kranich, Referatsleiterin "Digitalisierungsprogramme Bund und Föderal" im Bundesministerium des Inneren und für Heimat.

Viele Möglichkeiten Algorithmen im Personalwesen einzusetzen – aber bisher nur wenig Anwendung

Professor Dr. Martin Kersting skizzierte, dass es eine Reihe von Anwendungsbeispielen im Kontext von Arbeit und Personalwesen gibt, um Künstliche Intelligenz einzusetzen. In jedem Abschnitt des Beschäftigungszyklus gibt es Beispiele für Anwendungen:

Bisher werden Algorithmen jedoch primär im Kontext der Bewerberansprache (Attraction & Sourcing) sowie im Recruiting eingesetzt. Laut Studie des Ethikbeirats HR Tech sind die drei häufigsten Anwendungen die Analyse von Lebensläufen, die Optimierung von Stellenanzeigen, der Einsatz von Chatbots als Ansprechpartner sowie das Profilmatching. Doch selbst bei diesen Tätigkeiten haben lediglich ein Drittel der Unternehmen bereits eine algorithmische Lösung eingesetzt oder planen dies.

Prof. Dr. Kersting erklärt sich den vermehrten Einsatz von KI in den ersten beiden Phasen des Beschäftigtenzyklus darin, dass der Arbeitnehmerschutz bei Bewerber*innen noch nicht greift und dass wegen des Fachkräftemangels eine besondere Not in Organisationen dazu herrscht, Menschen anzulocken. „Wir haben einen enormen Fachkräftemangel und das tut den Unternehmen und Organisationen richtig weh. Wir haben keine Arbeitslosigkeit, sondern eine Arbeiterlosigkeit in der Bundesrepublik und das ist ein ernstes Problem und da erhofft man sich natürlich Unterstützung von KI“, erklärte der Wissenschaftler.

Ein Art, auf der die Optimierung der Stellenanzeigen Wirksamkeit entfallen kann, ist erhöhte Diversität durch Anpassung von sprachlichen Figuren. Es gibt noch immer starke Geschlechterstereotype und Frauen und Männer werden von unterschiedlichen Attributen angesprochen.

„Wir haben keine Arbeitslosigkeit, sondern eine Arbeiterlosigkeit in der Bundesrepublik und das ist ein ernstes Problem und da erhofft man sich natürlich Unterstützung von KI.“

Professor Dr. Martin Kersting

Optimistische Haltung zur Auswirkung von KI auf Wirtschaft

Dr. Rahild Neuburger stellte die achte Zukunftsstudie des MÜNCHENER KREISES vor, die Einstellungen und Erwartungen innerhalb von Unternehmen untersuchte. Dabei wurde auch ein Schwerpunkt auf Künstliche Intelligenz und Arbeit gelegt.

Die befragten Expert*innen aus den Unternehmen gaben im Befragungszeitraum (2019) bereits zu 84 Prozent an, dass eine Massenverbreitung von einer „schwachen“ KI zwischen 2020 und 2024 zu erwarten sei. Darunter versteht man regelbasierte Algorithmen, die ausschließlich nach „Kochrezept“ agieren und nicht selbst lernen. Über die Hälfte der Befragten geht davon aus, dass eine „starke“ Künstliche Intelligenz mit einem eigenen Bewusstsein nie Realität wird.

Die Hälfte der Befragten geht davon aus, dass KI-Systeme, die ohne Einbeziehung von menschlichen Entscheidungsträger*innen agieren, einen positiven Effekt auf die Wirtschaft haben wird. Allerdings gehen 69 Prozent der Befragten von einem negativen Effekt auf die Gesellschaft aus.

Dr. Neuburger betonte, dass sich bei der Befragung abzeichnete, dass die Debatte um digitale Ethik und KI stärker in der Öffentlichkeit geführt werden muss. „Nach Einschätzung der Befragten wird der Diskurs aktuell stark von der Wirtschaft geführt, zukünftig muss er aber primär durch die Gesellschaft vorangetrieben werden,“ fasste Dr. Neuburger zusammen.

„Nach Einschätzung der Befragten wird der Diskurs aktuell stark von der Wirtschaft geführt, zukünftig muss er aber primär durch die Gesellschaft vorangetrieben werden.“

Dr. Rahild Neuburger

80 Prozent reichen auch

Luise Kranich beobachtet bei der Implementierung von digitalen Technologien, insbesondere in der öffentlichen Verwaltung, eine Haltung, dass Anwendungen zu 100 Prozent fertig sein müssten. Daher verzögere sich oft der Einsatz von digitalen Instrumenten. Sie plädiert dafür, bei der Digitalisierung der Arbeit eine höhere Geschwindigkeit aufzunehmen: „Lasst uns doch schauen, was wir zu 80 Prozent digitalisieren können, damit die Leute, die wirklich da sitzen – im Bürgeramt, im Jugendamt, bei einer Zulassungsstelle – nicht mehr mit stempeln und abheften beschäftigt sind, sondern den Kopf frei haben, um sich um die 20 Prozent der Sonderfälle zu kümmern,“ forderte sie.

Kranich sieht, dass die Debatte zwischen "großen Potenzialen" und "großen Risiken" pendle. Ein angemessenes Risikomanagement sei allerdings notwendig, damit Digitalisierung erfolgreich umgesetzt wird. 

„Lasst uns doch schauen, was wir zu 80 Prozent digitalisieren können, damit die Leute, die wirklich da sitzen – im Bürgeramt, im Jugendamt, bei einer Zulassungsstelle – nicht mehr mit stempeln und abheften beschäftigt sind, sondern den Kopf frei haben, um sich um die 20 Prozent der Sonderfälle zu kümmern.“

Luise Kranich

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