Eine neue Ära des Alterns ist angebrochen

Die vergangenen Jahrzehnte waren geprägt von Stereotypen über ältere Menschen. Doch das Bild vom Altern verändert sich. Drei Expert*innen erklären, wie Menschen mit Lebenserfahrung ihr Leben heutzutage gestalten möchten und was sie der Gesellschaft zurückgeben können.

Die vergangenen Jahrzehnte waren geprägt von Stereotypen über ältere Menschen: Ob wohlhabende Kreuzfahrt-Reisende oder erschöpfte Rentner*innen – die Gruppe der Senior*innen wurde als gesellschaftlich abgekapselt gesehen. Doch mit steigender Lebenserwartung und dem Druck des demografischen Wandels ändert sich das Bild vom Altern. Drei Expert*innen erklären, wie Menschen mit Lebenserfahrung ihr Leben heutzutage gestalten möchten und was sie der Gesellschaft zurückgeben können.

Ältere möchten einen Beitrag leisten – doch sind Organisationen dafür bereit?

Viele Menschen möchten auch nach dem Renteneintritt ein aktives und sinnstiftendes Leben führen. Dies kann sich sowohl in Freiwilligenarbeit als auch in beruflicher Aktivität ausdrücken. Gleichzeitig suchen Organisationen angesichts des demografischen Wandels erfahrene Fachkräfte, die mit Kompetenz und Wissen Unterstützung bieten können. Das Netzwerk „Generation Ü“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, ältere Menschen mit Organisationen zu verbinden, um neue Synergien entstehen zu lassen. Christian Ege ist Gründer des Netzwerks und sieht eine klare Tendenz zu mehr Engagement von Älteren, betont jedoch, dass Unternehmen und Gesellschaft mehr Akzeptanz für diese Zielgruppe entwickeln müssen:

„Wir werden uns daran gewöhnen, dass ‚Üs‘ mehr und mehr Aufgaben für Unternehmen, Privathaushalte und das Gemeinwesen übernehmen. Mit Wissen, Tatkraft und Erfahrung engagieren sich Frauen und Männer im Ruhestand flexibel für einfache Aufgaben und wichtige Projekte. Zum Beispiel als Fahrer, im Büro, in der Produktion von Elektrofahrrädern, im generationsübergreifenden Lernen rund um Schulen oder auch als Zahnarzthelferin.“

„Es gibt so viele Beispiele, die zeigen: Die Bilder in den Köpfen über den Ruhestand sind von vorgestern.“

Christian Ege, Gründer Generation Ü

2021 wurde „Generation Ü“ mit dem Deutschen Demografie Preis in der Kategorie „Gemeinsam wirken“ ausgezeichnet und hat viele prominente Fürsprecher gefunden. Für Christian Ege steht fest, dass eine neue Wahrnehmung von Älteren notwendig ist. Er sagt: „Es gibt so viele Beispiele, die zeigen: Die Bilder in den Köpfen über den Ruhestand sind von vorgestern.“

Diversität und Teilhabe müssen über alle Alterskategorien gedacht werden

Auch Frank Leyhausen ist der Auffassung, dass älteren Menschen mehr Teilhabe gegeben werden muss. Er ist Gründer der Plattform „AgeForce1“ und unterstützt Beschäftigte, Menschen im Ruhestand sowie Personaler*innen dabei, den Weg in den Ruhestand zu planen. 2022 wurde das Projekt mit dem Deutschen Demografie Preis in der Kategorie „Digitalisierung“ ausgezeichnet. Leyhausen sieht den Trend zur Beschäftigung im Alter, doch auch Erfahrungen mit Diskriminierung:

„Alter ist Vielfalt und das gilt auch für die ‚Teilhabe‘. Manche Menschen erfüllen sich ihren Kindheitstraum und gründen ein Unternehmen, andere engagieren sich im sozialen Bereich und aktuell gehen 17 Prozent der Ruheständler wieder arbeiten. Jeder hat Kompetenzen, die gebraucht werden, man muss sich ihrer nur bewusst sein und darf sich auch nicht scheuen, aktiv eine Herausforderung zu suchen. In unserer jugendfixierten Gesellschaft kann dies jedoch schwierig sein, denn viele Menschen haben ab dem Alter ‚xplus‘ nur ein defizitäres Altersbild im Kopf und ziehen Ältere deshalb per se nicht für eine Aufgabe in Betracht.“

„Jeder hat Kompetenzen, die gebraucht werden, man muss sich ihrer nur bewusst sein und darf sich auch nicht scheuen, aktiv eine Herausforderung zu suchen.“

Frank Leyhausen, Gründer AgeForce1

Angesichts der vielfältigen Gründe, weshalb Ältere im Ruhestand aktiv sein können, ist ein neues Altersbild auch essenziell für mehr Gerechtigkeit. Manche Ältere müssen aufgrund einer geringen Rente Möglichkeiten für zusätzliche Einkommensquellen suchen, andere hingegen möchten schlicht aktiv und produktiv bleiben. Für alle Fälle ist ein Verständnis von Alter notwendig, das Chancen für Beschäftigung und Aktivität in der zweiten Lebenshälfte zulässt.

Lebenslanges Lernen und digitale Fähigkeiten betreffen auch Ältere

Um Engagement und Teilhabe erfolgreich zu gestalten, müssen Fähigkeiten und Kompetenzen mitgedacht werden. Leyhausen sieht dabei auch Ältere in der Verpflichtung: „Wer nicht nur drin, sondern auch dabei sein will ist gefordert, mit der Digitalisierung Schritt zu halten. Lebenslanges Lernen ist kein Modewort mehr, sondern Alltag für Menschen jeden Alters.“

Fachjournalistin Margaret Heckel sieht Digitalisierung als große Chance, um Teilhabe zu erleichtern und die zweite Lebenshälfte positiv zu gestalten – allerdings bedürfe es noch mehr Förderung und Unterstützung:

„Digitalisierung wird die zweite Lebenshälfte enorm verändern und für alle leichter machen. Wir werden unsere Ärzte digital kontaktieren, für den neuen Pass nicht mehr auf das Bürgeramt rennen müssen und irgendwann dann sogar mal uns vom selbstfahrenden Auto durch die Gegend chauffieren lassen. Deshalb ist es unerlässlich, dass jeder und jede sich hier auskennt und vor allem auch Zugang zu digitalen Dienstleistungen hat. Wer heute unter 70 ist, dürfte damit kein Problem haben. Die Älteren müssen wir dabei unterstützen, denn leider ist WLAN in Heimen beispielsweise eher die Ausnahme als die Regel.“

„Digitalisierung wird die zweite Lebenshälfte enorm verändern und für alle leichter machen.“

Margaret Heckel, Fachjournalistin

Tatsächlich zeigt eine Studie der Initiative D21, dass es bei Personen über 60 Jahren große Unterschiede in puncto Digitalkompetenz und Einstellung gibt. Während 85% der Personen zwischen 60 und 69 angeben, das Internet zu nutzen, fällt der Anteil bei Menschen über 80 auf rund ein Drittel. Auch bei der Einstellung gibt es große Unterschiede. Während rund jede 2. Person zwischen 60 und 69 angibt, vom Internet zu profitieren, stimmen nur fünf Prozent der Menschen über 80 Jahren zu.

Dies zeigt deutlich, dass großes Potenzial besteht, um Ältere stärker im digitalen Raum zu befähigen, damit sie in der Gesellschaft sichtbar bleiben.

Als Demographie Netzwerk sehen wir die Herausforderungen für alle Generationen, die durch den demografischen Wandel entstehen. Gemeinsam mit unseren Partnern möchten wir als Netzwerk Impulsgeber sein, um nicht nur eine Bestandsaufnahme, sondern auch Lösungen zu formulieren.