Digital aufs Land: Interview Teil 1

Die Studie "Digital aufs Land" des Berlin Institutes für Bevölkerung und Entwicklung und der Wüstenrot Stiftung hat die veschiedenen Herausforderungen der Digitalisierung in ländlichen Regionen untersucht. Mitautorin Susanne Dähner hat mit ddn im mehrteiligen Interview über die Studie gesprochen. Welche Gründe es für einen Umzug aufs Land gibt und wie ländliche Gemeinden von Digitalisierung profitieren können, lesen Sie im ersten Teil.

Zur Person

Susanne Dähner

Susanne Dähner, Diplom-Geographin und Soziologin, arbeitet seit 2016 am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die demografische Entwicklung ländlicher Regionen, Digitalisierung und Land, Ehrenamt, Arbeitsmarkt und Fachkräftesicherung sowie Nachhaltigkeit. In den letzten beiden Jahren lag ihr Fokus auf den Chancen der Digitalisierung für den ländlichen Raum.

Eine Art "Rausschwappen" aus den Städten

Wie erklären Sie es sich, dass immer mehr Menschen (zurück) aufs Land ziehen?

Was wir aktuell sehen ist, dass nicht unbedingt mehr Menschen aufs abgelegene, entfernte Land ziehen, sondern, dass Städte Einwohner an ihr Umland verlieren. Vor allem seit der Jahrtausendwende wuchsen die Großstädte immer mehr, während Dörfer und Kleinstädte Einwohner*innen verlor. Jetzt beobachten wir eine Art „Rausschwappen“ aus den Städten: Die Menschen ziehen ins Umland der Städte, aber nicht unbedingt in die weit entfernten, peripheren Regionen. Der jahrelange Erfolg der Städte hat dazu geführt, dass die urbanen Räume immer voller und teurer geworden sind. Berlin beispielsweise hat sich extrem gewandelt: früher gab es hier viel Platz und Freiräume, die nach und nach verloren gegangen sind. Es gibt kreative Menschen, die auch wegen dieser Gestaltungsräume in die Hauptstadt gekommen sind und diese nun vermissen. Sie suchen sich neue Orte und finden sie teilweise auf dem Land. Außerdem wünschen sich Menschen, die anfangen Familien zu gründen, mehr Wohnraum für sich und die Kinder. Eine größere Wohnung zu finden wird immer schwieriger. Letztlich gibt es noch den Wunsch nach dem Häuschen im Grünen, wenn Kinder kommen. Der ist nicht unbedingt neu.

„Der Lockdown im letzten Jahr aufgrund der Corona-Pandemie hat diese Bedürfnisse sicher noch einmal verstärkt: Menschen sind stärker an ihre Wohnungen gebunden und verbringen dort viel mehr Zeit als vorher. Das fehlende Zimmer oder der nicht vorhandene Garten fielen viel stärker ins Gewicht.“

Susanne Dähner

Vorteile, die das Stadtleben normalerweise bietet, wie zum Beispiel Gastronomie, Kultur oder Freizeitangebote in unmittelbarer Nähe konnten auf einmal nicht mehr genutzt werden. So wird das Fehlen dieser Angebote weniger als Nachteil des Landlebens gesehen, ein Leben ohne diese Annehmlichkeiten der Stadt erscheint auf einmal eher möglich.

Was versprechen sich die Menschen von einem Umzug aufs Land? Gibt es schon Erkenntnisse darüber, ob diese Wünsche sich auch bewahrheiten?

Viele Menschen suchen mehr Platz und Freiraum, auch die Nähe zur Natur. Eine nicht repräsentative Online-Umfrage, die wir für die Studie durchgeführt haben, ergab, dass der stärkste Grund, warum Menschen sich einen Umzug aufs Land wünschen, die Nähe zur Landschaft Natur ist. Viele wollen auch der Hektik der Großstadt entfliehen oder empfinden dort eine Enge, die sie hinter sich lassen wollen. Menschen aus bestimmte Milieus, vor allem kreative Digital- und Wissensarbeiter*innen, suchen  gezielt nach Freiräumen, die man in der Stadt nicht mehr hat. Damit sind nicht nur physische Freiräume gemeint, sondern auch bildlich einfach Raum, sich zu entfalten, eigene Angebote zu machen, sich auszuprobieren. Eine Person hat das in der Umfrage gut auf den Punkt gebracht mit dem Satz „Die Stadt ist so satt!“.

Ob all die Vorstellungen und Wünsche derjenigen, die ihren Wohnort von der Stadt aufs Land verlegt haben, auch in Erfüllung gegangen sind, lässt sich jetzt leider noch nicht sagen. Was wir sehen ist eine sehr frische Entwicklung. Wie dies sich  langfristig entwickelt, müssen wir weiter beobachten.

Wie können ländliche Gemeinden von mehr Digitalisierung profitieren?

Es gibt eine ganze Reihe verschiedener Chancen! Einerseits können Gemeinden aufgrund neuer Arbeitsformen und -kulturen neue Bewohner*innen gewinnen. Andererseits profitieren auch langjährige Landbewohner*innen von den Möglichkeiten des digitalen und ortsunabhängigen Arbeitens. Der starke Digitalisierungsschub dank Corona hat dafür gesorgt, dass die die Präsenzkultur in Büros ein Stück weit gebrochen werden konnte. So können sich Menschen eher vorstellen, ihren Wohnort zu wechseln, weil dies nicht mehr tägliche und lange Pendelstrecken bedeuten muss.

Darüber hinaus kann die Digitalisierung auch Angebote der Nahversorgung und Daseinsvorsorge verändern und stärken. Beispiele dafür sind digitale Lösungen im Bereich der Nachbarschaftshilfen, medizinischen Versorgung, Mobilität oder auch alltäglicher Versorgung. So gibt es Apps wie einen Dorfnotruf, wenn jemand Hilfe braucht, Angebote der Telemedizin oder Lieferdienste. Vielerorts mussten kleine Dorfläden aufgeben oder bangen um ihre Existenz. Sie werden aber für die Versorgung wenig mobiler Bevölkerungsgruppen immer wichtiger. Sie können sich dank Digitalisierung breiter aufstellen. Mit Vor-Ort-Verkauf, Online-Handel und Lieferdiensten können sie mehr Menschen erreichen und wirtschaftlicher arbeiten.

Auch in der Mobilität auf dem Land sehen wir viele Entwicklungen: Rufbusse können über App-Systeme geplant werden, in denen Fahrgäste angeben können, wann sie von wo nach wo fahren wollen, und die App plant dann eine sinnvolle Route. Das ist viel flexibler als viele ehrenamtliche Bürgerbus-Angebote, die zu starren Zeiten feste Routen bedienen. Das Angebot für Nutzer*innen wird so verbessert, ist wieder rentabler und kann erhalten werden. Perspektivisch sind hier sogar autonom fahrende Angebote denkbar.

Weitere Informationen zum Nachlesen

Susanne Dähner veröffentlichte 2019 gemeinsam mit anderen Autor*innen die Studie„Urbane Dörfer“des  Berlin-Instituts zu Chancen der Digitalisierung für den ländlichen Raum. 2020 arbeitete Susanne Dähner außerdem an der Studie „Vielfalt der Einheit“ mit, die sich damit beschäftigte, wie Ost und West nach 30 Jahren Einheit zusammengewachsen sind. 2021 erschien die Studie „Digital aufs Land“.

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